Liebe Gemeinde,
ich möchte Ihnen heute eine Geschichte erzählen. Es geht um einen Engel, genauer gesagt: einen Osterengel. Sagen Sie jetzt nicht: Engel gibt es nicht! Es gibt sie. Wir können sie nicht sehen, aber spüren. Wie so vieles andere auch, was wir nicht sehen, aber spüren können, Liebe zum Beispiel.

Der Osterengel war sehr stolz, dass er ein Osterengel war und kein Weihnachtsengel. Damals, auf den Feldern von Bethlehem, beim „gloria in excelsis“ war er noch nicht dabei. Da war er noch in der Ausbildung. Das fand er im Nachhinein nicht schlimm, denn Singen war sowieso nicht so sein Ding. Aber jetzt hat er seine Aufgabe erhalten. Er weiß, es wird die wichtigste Botschaft des Christentums werden, die er heute überbringen soll. Also begibt er sich aus den himmlischen Höhen zum Grab Jesu nach Jerusalem. Schnell wälzt er den Stein weg und schwingt sich auf ihn. Kaum sitzt er da, kommen zwei Frauen, die nach dem Grab sehen wollen. Die Ruhe des Sabbats liegt hinter ihnen, als sie früh am Morgen das Haus verlassen. Es sind Maria aus Magdala und die andere Maria. Sie wirken traurig und sorgenvoll, als trügen sie eine schwere Last.

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„Fürchtet euch nicht“, beginnt der Engel. „Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Er will den Frauen den Ort zeigen, an dem Jesus gelegen hat. Doch die beiden reagieren entsetzt auf seine Worte, ja fast panisch. Damit hat der Osterengel nicht gerechnet. Es war doch eine frohe Botschaft, die er auszurichten hatte. Was soll er jetzt machen?

Nach kurzem Überlegen rutscht er von seinem Stein herunter und macht einen Schritt auf die Frauen zu. Trösten, das liegt ihm eigentlich ganz gut. Dann geht er immer ganz leise zu Traurigen und versucht zu spüren, was sie bedrückt. Manchmal schickt er auch andere Menschen hin. Er weiß dann, was sie belastet. Menschen verlieren ihre Arbeit oder sind einsam. Jetzt spürt er: die Frauen sind fassungslos darüber, dass der Mensch, der ihnen Halt gegeben hatte, brutal getötet wurde. Der Osterengel überlegt, wie er seine Botschaft begreifbar sagen kann. Dann setzt er an: „Ich kann euch nicht genau beschreiben, wie das heute Nacht geschehen ist. Ich habe es nicht gesehen, niemand hat es gesehen. Aber das Grab ist leer, seht es selbst!“

Als er wahrnimmt, dass die Frauen immer noch irritiert und entsetzt schauen, fährt er fort: „Glaubt nicht, dass das, was euch belastet, von Gott kommt. Und glaubt bitte auf keinen Fall, dass Leid und Krankheit eine Strafe Gottes wären. Sie sind Teil der Welt. Jesus ist das beste Beispiel dafür, dass Leid und Tod jeden treffen kann und trifft. Aber manchmal werdet ihr daran erinnert, dass Gott die Welt als Ganze erschaffen hat. Und ihr Menschen habt die Aufgabe, diese Welt mit all ihren Belastungen verantwortungsvoll zu gestalten, gemeinsam, solidarisch. Das werdet ihr schaffen. Ihr müsst euch nur weiterhin gegenseitig unterstützen. Es geht, wenn nicht jeder zuerst an sich denkt!“

Der Osterengel redet immer engagierter. Sein weißes Gewand leuchtet weiß wie Schnee. Er gestikuliert. „Sucht gemeinsam nach Lösungen. Lasst denen keinen Raum, die die Solidarität egoistisch ausnutzen. Es gibt eine Zukunft. Die Sorgen, die Traurigkeit, die Kraftlosigkeit gehen vorbei. Selbst mit dem Tod ist nicht alles aus.
Die Beziehung zu Gott endet nicht, sie besteht über den Tod hinaus. Deshalb sollt ihr nicht zum Grab kommen, um Jesus dort zu suchen. Lauft und erzählt es allen. Das

Grab ist leer, sein Tod war nicht das Ende. Schlagt den Weg Richtung Galiläa ein, dann werdet ihr ihn sehen.“

Seine Worte erreichen die beiden Frauen. Ungläubig staunend stehen sie da. Doch es keimt Hoffnung in ihrer Niedergeschlagenheit. Und dann laufen sie los, um die Nachricht des Engels weiterzusagen.

Und jetzt wagt es der Osterengel, der doch eigentlich gar nicht gerne singt, wenigstens zu summen. „Halleluja, gelobt sei Gott.“ Amen